– Kooperativer Artikel –

In meinen beiden Schwangerschaften kam für mich nicht in Frage, eine Nackenfaltenmessung oder andere artverwandte Untersuchungen vornehmen zu lassen, die feststellen, ob mein Kind behindert sein wird. Der Grund war einfach: Ich fragte mich im Vorfeld, was passieren würde, wenn ein negatives Ergebnis herauskäme.

Mein Fazit: Nichts.

Ich würde das Kind trotzdem bekommen, ob gesund oder nicht. Im Falle eines „negativen“ Bescheids hätte ich mich unter Umständen die ganze Schwangerschaft über verrückt gemacht, was wohl mit einem beeinträchtigten Kind auf mich zukäme, wie der Alltag aussehen würde…

Unser zweiter Sohn erblickte im Januar 2018 das Licht der Welt. Unser kleiner Schatz hat von Anfang an entschieden, alles anders zu machen. Er wurde mit Glückshaube (also in der Fruchtblase) geboren, was nur bei einer von etwa 80.000 Geburten der Fall ist. „Im Mittelalter galten Glückshauben als Glückszeichen. Sie wurden als ein gutes Omen dafür betrachtet, dass das Kind für Geistesgröße und Großmütigkeit auserkoren war. Außerdem glaubte man, dass solche Kinder übernatürliche Fähigkeiten hatten und „sehen“ konnten.“*

Die Geburt war tatsächlich ein Omen, denn so ging sein junges Leben weiter: anders und besonders. Während die Gleichaltrigen nach wenigen Wochen begannen zu lächeln und zu krabbeln und neugierig die Welt zu entdecken, lag unser Sohn in seinem Bettchen, schlief die meiste Zeit, und wenn er nicht schlief stillte er entweder oder lächelte mit den Engeln. Nach wenigen Monaten bemerkten aufmerksame Beobachter bereits, dass er sich nicht so schnell entwickelte wie andere Kinder in seinem Alter. Er lebte wie hinter einer Nebelwand.

Immer war ich der Meinung, er entwickele sich eben in seinem ganz eigenen Tempo, kein Grund für Stress oder gar Panik. Er brauche eben länger, na und? Doch dann brachte uns ein Schicksalsschlag ins Krankenhaus und die Maschinerie begann. Sie machten verschiedene Tests und stellten fest, dass er mit fast zwei Jahren den Stand eines zwölf Monate alten Babys hat. Man legte uns die Anbindung ans Sozialpädiatrische Zentrum nah.

Heute war es soweit: Nach einigen Monaten Wartezeit saß ich einer Kinderärztin gegenüber, die sich viel Zeit für unsere ganze Geschichte nahm. Von Schwangerschaft über Geburt und den aktuellen Alltag wurde alles abgefragt. Mein Sohn spielte auf dem Boden. Am Ende der Behandlung fragte ich, wie sie unseren Sonnenschein einschätze, ob es wohl Aussicht auf Erfolg gibt, einen Pflegegrad zu beantragen. Sie schaute mich ernst an und entgegnete: „Das auf jeden Fall, er ist deutlich entwicklungsverzögert. Wir müssen noch einige Untersuchungen abwarten, doch es ist durchaus möglich, dass wir sogar von einer Behinderung sprechen.“

Den restlichen Tag verbrachte ich damit, Anträge für weitere Untersuchungen auszufüllen, einen Pflegegrad bei der Krankenkasse zu beantragen und einen Termin bei einem Humangenetiker zu vereinbaren. Ich funktionierte. Doch nun ist es still um mich herum, die Kinder schlafen, ich tippe in dämmrigem Licht auf die Tastatur ein und halte nur mühsam meine Tränen zurück.

Mein Baby.

Mein kleiner Sonnenschein.

Mein lieber Finn,

Namikas Lied „Lieblingsmensch“ geht mir gerade durch den Kopf. Erinnerst du, wir haben es schon zusammen gehört: „Manchmal wiegt der Alltag schwer wie Blei, doch sind wir zu zweit scheint alles so leicht.“

Wie du deine Ärmchen um mich schlingst, deinen kleinen Körper fest an meinen presst. Du bist ein besonderer Mensch. Ein Herz voller Liebe, bereit, sie der Welt zu schenken.

„Bei dir kann ich ICH sein, verträumt und verrückt sein“, singt Namika nun, und ich denke: Ja, wahrlich, du liebst es, wenn ich verrückt bin. Dann leuchten deine Augen, dein ganzer Körper lacht, du prustest mir ins Gesicht.

Und während diese innigen Momente wie ein Film vor meinem geistigen Auge ablaufen, stelle ich mir vor, wie du älter wirst, größer und stärker. Wie du vielleicht noch immer Hilfe im Alltag brauchst, aber wie du dich zu einem ganz normalen Teenager entwickelst, so wie die Jungs und Mädels auf der Seite von FIT-Z, die gut gelaunt die aktuelle Teenager-Mode präsentieren.

Ist doch egal, welche Diagnosen wir in diesem Leben bekommen. Ja, genau, WIR. Denn ich werde an deiner Seite stehen, Finn, bis ich den Löffel abgebe, und selbst dann werde ich da oben auf meiner Wolke sitzen und dir alles Glück des Himmels auf die Erde schicken.

Dies ist erst der Anfang, mein Schatz. Du wirst uns zeigen, wie schön deine Welt ist. Was stören uns die Bäume, die auf unserem Weg liegen?! Lass uns draufklettern und drüber balancieren!

In tiefer Liebe, Deine Mami

 

* https://de.wikipedia.org/wiki/Gl%C3%BCckshaube

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