Ich habe darauf hingefiebert – monatelang freute ich mich auf die Dokumentation „Wo leben Familien am besten – die große Deutschlandstudie“. Die Dreharbeiten fanden an einem warmen Augusttag 2019 statt. Wir alle waren aufgeregt.

Viele Anfragen für Fernsehauftritte habe ich im Vorfeld bereits abgelehnt, weil ich mir sicher war, dass diese Formate uns als alternativ lebende Familie zerreißen würden. Nach einem langen Telefonat mit dem Regisseur der Sendung, Thomas Lischak, hatte ich in diesem Fall ein gutes Gefühl.

Und ich grolle ihm im Nachhinein nicht. Auch wenn ich enttäuscht bin über das Endprodukt.

Aus unserer Sicht.

Aus Sicht einer Familie, die sich für die Selbstbetreuung entschieden hat, aus verschiedenen Gründen. Kein einziger unserer Gründe wird angeführt. Dass die Bindung an mindestens eine liebevolle und fürsorgliche Hauptbezugsperson in den ersten Jahren grundlegend für das weitere Leben eines Menschen ist. Idealerweise ist das die Mutter, was ich in vielen Blogartikeln und Interviews mit Experten bereits erläuterte.

Im Laufe des Tages betonte ich immer wieder, dass Familienarbeit auch Arbeit ist, und dass diese der Erwerbsarbeit in keinster Weise nachsteht, außer, dass sie gesellschaftlich nicht anerkannt ist und finanziell nicht entlohnt wird. Davon ist in der Sendung kein Wort zu hören. Stattdessen nichtssagende Sätze aus meinem Munde. Klar, die habe ich gesagt, aber auch noch so viel mehr, was überhaupt keine Rolle in der Sendung spielt.

Irgendwie passen wir als Selbstbetreuer-Familie gar nicht in die Dokumentation.

Die Forschungskriterien in der Sendung haben einzig den Fokus auf die doppelte Erwerbstätigkeit. Es geht vor allem um die Vereinbarkeit von Job und Familie – ein großes Thema unserer Zeit – eine Zeit, in der viele Familien auf zwei Gehälter angewiesen sind, um überhaupt zu überleben.

Es geht allein um die Bedürfnisse der Eltern, die Kinder werden zwar gefragt, was sie sich am meisten wünschen (-> ZEIT mit ihren Eltern), doch wird das im Verlauf der Dokumentation nicht weiter vertieft. Stattdessen werden die Kitas mit Rund-um-die-Uhr-Betreuung positiv erwähnt, als das Nonplusultra unserer Zeit.

 

Aspekte der Sendung, die mich beschäftigen

Gleich zu Beginn der Sendung hebt Frau Professor Ilse Helbrecht hervor, dass wir in einer Zeit leben, in der die Gleichberechtigung von Frauen eine große Rolle spielt und beide Ehepartner am Arbeitsmarkt teilhaben WOLLEN.

Ich frage mich: Stellen Mütter, die bei ihren Kindern zu Hause bleiben – aus welchen Gründen auch immer – die Gleichberechtigung der Frau in Frage? Machen wir zunichte, was der Feminismus in den letzten Jahrzehnten erkämpft hat?

Ich empfinde das ganz anders. Wir sind keine Heimchen am Herd. Wir sind selbstbewusste Frauen, beruflich erfolgreich, die sich bewusst für die Kinder und Zeit mit ihren Kindern entschieden haben.

Denn diese Zeit zieht unwiederbringlich vorbei. Sie ist nicht zurückzuholen. Und wenn ich in die Augen der in Großaufnahme gezeigten Kinder in der Sendung schaue, die sich mehr als alles andere wünschen, dass sie mehr Zeit mit Mama und Papa hätten, bekomme ich selbst Tränen in die Augen.

Unser Beitrag (Länge ca. 3 Minuten) beginnt mit den Worten des Sprechers: „Mehr als 70 % der 3 bis 6-jährigen in Mainz haben einen Kita-Ganztagesplatz. Doch davon will SIE gar nicht profitieren: Jenniffer Ehry-Gissel hat sich dafür entschieden, zu Hause zu bleiben, und ihre beiden Kinder selbst zu betreuen. Denn sie ist überzeugt, dass ansonsten zu viel wertvolle Familienzeit verloren geht.“

Das stimmt schon, doch klingt das in meinen Ohren so egoistisch. Weiter oben habe ich ja schon aufgeführt, dass es mir um die Bildung des Urvertrauens und der sicheren Bindung meiner Kinder geht.

 

Unsere Interviews

Im nächsten Abschnitt sieht man mich im Interview. Von all den tiefgehenden Dingen, die ich im etwa 15-minütigen Interview von mir gegeben habe, wurde folgender Satz herausgepickt für die Sendung:

„Wir haben eben diesen Druck nicht, dass morgens um 7 der Wecker klingelt, oder sogar noch früher, und ich die Kinder rauspeitschen muss, schnell noch frühstücken, schnell noch anziehen, aus der Tür raus und los, und dann selbst noch zur Arbeit hetzen.“

Puh, ja, das habe ich gesagt. Es war wohl das Oberflächlichste, was aus meinem Munde kam in diesen 15 Minuten. Und genau das wird verwendet für die Sendung. Ich finde, in dem Kontext klingt es, als wäre ich zu faul „richtig arbeiten zu gehen“.

In der nächsten Szene betritt mein Mann Sascha das Wohnzimmer, von der Arbeit kommend, küsst die Kinder und begrüßt mich.

„Finanziell ist die Familie allein auf den Verdienst von Vater Sascha Gissel angewiesen“, hört man den Sprecher sagen.

Als nächstes sieht man Sascha vor der Kamera im Interview mit dem Untertitel ‚Sascha Gissel – Alleinverdiener‘:

„Wenn ich heute arbeitsunfähig würde, würde unser Fundament leicht ins Schwanken geraten. Das ist ein Druck, der allgegenwertig ist.“

Die Selbstbetreuung und ihre Schattenseiten. Es wird uns Selbstbetreuern weder finanziell noch ideell leicht gemacht, diesen Weg zu gehen. Doch das alles lässt mich kalt, wenn ich in die Augen meiner Jungs sehe. Im Übrigen sind mein Mann und ich uns einig, dass dieser Weg für uns richtig ist. Auch, wenn das in dem kurzen Part seines Interviews nicht so rüberkommen mag.

„Die Bereitschaft, fürs Kind Abstriche im Job zu machen, scheint sogar wieder zuzunehmen“, erläutert der Sprecher weiter.

Auch in diesem Satz hört man wieder ganz deutlich heraus, wo die Bedürfnisse liegen: Auf den Erwachsenen und ihrem Job. Nicht auf den Kindern. Aber gerade die sind doch für die Zukunft von uns allen so wichtig! Sie sind die Zukunft unserer Gesellschaft. Sie sind die Rentenzahler von morgen. Wenn wir sie alle schon in jungen Jahren brechen, wohin soll denn das führen?!

Mitten in unserem Beitrag schaltet sich Frau Prof. Sabine Walper ein und warnt:

„Dieser Trend birgt auch das Risiko einer Spezialisierung in der Elternschaft. Es ist dann doch häufiger eher wieder die Mutter, wo ein gesellschaftlicher Konsens entsteht: Die können´s am Besten. Ein entsprechendes „Roll-back“ sehen wir auch in anderen Ländern, wo durchaus davor gewarnt wird, dass vieles, was man erreicht hat an Gleichstellung zwischen den Geschlechtern dann auch wieder zurückgenommen wird durch diesen Trend“.

Ach herrje, was soll ich dazu sagen? Gehen wir lieber weiter…

Nun hört man wieder den Sprecher, während mein großer Sohn einen Turm erklimmt und die Rutsche runtersaust: „‘Roll-back‘, das bedeutet: zurück zu alten Rollenmustern. Das bedeutet aber auch weniger Einkommen und Rentenansprüche durch Teilzeit oder Auszeit. Ein Verlust von sozialer Sicherheit.“

Eine Schande, dass die Politik immer noch nicht begreift, wie wichtig die ersten Jahre für einen Menschen sind. Etliche Experten aus verschiedenen Bereichen wie Neurobiologie, Entwicklungspsychologie oder Säuglingsforschung, um nur einige zu nennen, warnen eindringlich davor, die Kinder zu früh in fremde Hände zu geben.

Warum werden diese Stimmen nicht gehört?!

 

Eine laute Stimme an das ZDF

Die Ehrenvorsitzende des Verband Familienarbeit e.V., Wiltraud Beckenbach, bezog sich in einem Brief an das ZDF auf oben genannte Sendung:

Guten Tag,
mir sind im obigen Beitrag einige Widersprüche aufgefallen:

Einerseits wird bemängelt, dass den Eltern zu wenig Zeit für ihre Kinder bleibt, andererseits wird einseitig die Zweiverdienerfamilie propagiert. Die Eltern, die ihre Kinder noch einige Zeit selbst erziehen wollen, werden als rückständig abgestempelt. Ich ziehe hier den Hut vor Jenniffer Ehry-Gissel. Sie will trotz der bekannten Nachteile ihre Kinder einige Zeit selbst erziehen. Schlimm genug, dass dies für die ganze Familie ein finanzielles Risiko bedeutet, von der fehlenden gesellschaftlichen Anerkennung ganz zu schweigen.

Für mich zieht man bei diesem Thema immer wieder die falschen Schlüsse. Warum werden Eltern für die Zeit der Erziehung ihrer eigenen Kinder nicht finanziell entlohnt? Nicht nur in Form des Elterngeldes, welches einkommensabhängig als eine Art Schadenersatz für entgangenes Einkommen und damit ungerecht ist. Erzieherinnen erhalten für ihre Arbeit mit Kindern ein Gehalt und „arbeiten“. In der Pflege wird Pflegegeld gezahlt, und zwar so lange, wie die Pflege dauert, nicht nur ein Jahr lang. Ebenso „arbeitet“ Pflegepersonal in den Heimen. Auch hier würde niemand eine unentgeltliche Leistung fordern.

Wenn in Ihrem Beitrag wiederholt davon gesprochen wird, dass Eltern wieder arbeiten gehen oder von Wissenschaftlerinnen davon gesprochen wird, dass Mütter nicht arbeiten, macht mich das wütend. Welch eine Ignoranz steht dahinter. Auch Familienarbeit ist Arbeit! Was sie kostet, wenn sie ausgelagert wird, sehen wir derzeit bei der Finanzierung der flächendeckenden Versorgung mit Krippen- und Hortplätzen. Hier erwarte ich vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen einen anderen Umgang mit dem Arbeitsbegriff.

Sinnvoll wäre es das Geld dafür den Eltern direkt zu zahlen und diese frei entscheiden zu lassen, ob sie ihre Kinder selbst erziehen oder die Arbeit delegieren. Sobald sie die Erziehungsarbeit übernehmen, müssten sie so sozialversichert werden wie alle anderen Berufe auch. Damit würde diese Arbeit endlich als solche wahrgenommen, es gäbe keine Versorgungslücken im Alter und ihr Wert würde sichtbar.

Was ich überhaupt nicht verstehe ist die Tatsache, dass alte Menschen so lange wie möglich zu Hause in ihrer vertrauten Umgebung bleiben sollen, Kinder jedoch so früh wie möglich in außerhäusliche Betreuung abgegeben werden. Bekanntlich betreut eine Schimpansenmutter ihre Kinder drei Jahre lang. Würde man ihr ohne Not innerhalb dieser Zeit ihre Kinder wegnehmen, gäbe es einen Sturm der Entrüstung von Seiten der Tierschützer. Sollte für Menschenkinder nicht das gleiche Betreuungsrecht gelten? Zumal wissenschaftlich erwiesen ist, dass für Kinder unter drei Jahren Bindung und nicht Bildung das Wichtigste ist.

So wie es derzeit gehandhabt wird, ist jeder noch so schlecht bezahlte Beruf außer Haus „wertvoller“ als die Arbeit mit den eigenen Kindern. Da kann doch etwas nicht stimmen.

Mit freundlichem Gruß
Wiltraud Beckenbach

 

Mein Fazit

Einerseits bin ich enttäuscht, dass wir Selbstbetreuer in der Sendung nur so kurz erwähnt wurden, dass wir uns gar nicht richtig zeigen konnten, wie wir sind, weshalb wir leben, wie wir leben. Auch hätte ich mir gewünscht, dass der Name  meines Blogs erwähnt wird, so dass sich Menschen, die unsere Lebensform spannend finden, hätten informieren können.

Andererseits bin ich froh, dass wir durch diesen, wenn auch kurzen Ausschnitt dem deutschsprachigen Raum gezeigt haben, dass es Alternativen gibt zu dem viel verbreiteten Modell der frühen Fremdbetreuung. Ich weiß aus vielen Jahren Erfahrung und Kontakt mit Eltern, dass sich viele wünschen, länger bei ihren Kindern bleiben zu können. Die, die meinen, sie seien die Einzigen auf der Welt, die so fühlen, haben wir sicherlich die Stärke gegeben, ihrem Wunsch zu entsprechen. Und dafür bin ich dankbar. Jedes Kind, was in den ersten Lebensjahren familiär und nicht außerhäuslich betreut wird, ist ein Schritt in eine glückliche und gesunde Zukunft unserer gesamten Gesellschaft.

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