Der Titel „Was mit Kindern passiert, wenn Mütter früh wieder arbeiten gehen“ klingt zunächst einmal nicht nach dem, was gleich kommen wird. Was da folgt will ich auf meinem Blog nicht weiter ausführen, zu wütend machen mich die Worte. Zu geschockt bin ich von dieser Propaganda. Anders kann ich mir das nicht erklären. Das kann doch nicht deren ernst sein!?!

Gleich im ersten Satz des oben genannten und verlinkten Artikels wird deutlich, wohin die Reise geht:

„Nach ein paar Monaten Elternzeit wollen viele Mütter schnell wieder zurück in den Job – und plagen sich mit Gewissensbissen. Dabei wäre das gar nicht nötig.“

Weiter mag ich hier nicht ausführen.

Immer wieder werde ich mit einem Argument der „Gegenseite“ konfrontiert:

„Zu jeder von Dir zitierten Studie gibt es auch Studien, die genau das Gegenteil beweisen. Nämlich, dass frühe Fremdbetreuung Kindern mitnichten schadet.“

Ich antworte dann immer, man müsse sich genau ansehen, wer eine Studie in Auftrag gibt. Doch nach diesem unglaublichen Artikel wollte ich es genauer wissen. Grund genug, der Sache endlich mal nachzugehen und Experten zu befragen.

Am besten Du liest zum besseren Verständnis der folgenden Ausführungen den oben verlinkten Artikel. Ach, überfliegen reicht. Ich will nicht, dass Du Dich so aufregst wie ich. Dann sehen wir uns gleich hier wieder… 🙂

Dr. Johannes Resch ist Arzt für Neurologie und Psychiatrie sowie für Arbeitsmedizin mit Zusatzbezeichnung Sozialmedizin. Er hat selbst drei Kinder. Seine Leidenschaft für Familien- und Sozialpolitik entdeckte er während einer Assistententätigkeit an der Uni Heidelberg, wo er (zunächst widerwillig) ein Seminar „Sozialpolitik“ für Medizinstudenten halten musste. Später war er fast 25 Jahre leitender Arzt eines Versorgungsamtes und musste sich so immer wieder mit den praktischen Problemen von Familien befassen. Seit seiner Pensionierung engagiert er sich ehrenamtlich im Verband Familienarbeit e.V., der als einer der ganz wenigen von staatlichen und kirchlichen Zuwendungen freien Verbände allein auf der Basis der Mitgliedsbeiträge und Spenden versucht, politischen Einfluss zu nehmen.

Seine Stellungnahme und fachmännische Einschätzung zu dem Artikel und allgemein zu den „Studien, die das Gegenteil beweisen“:

„Der Beitrag beruft sich auf „Studien“, die einen wissenschaftlichen Eindruck machen.
Studien, die sich mit Zusammenhängen befassen, also den Ursachen von Krankheiten, psychischen Störungen usw. nachgehen, sind wichtig und können zu wertvollen Hinweisen führen. Sie können aber auch bei Nichtbeachtung wichtiger Regeln völlig falsche Schlüsse ergeben.

Ich habe vier Jahre an einem Uni-Institut gearbeitet, wo solche epidemiologischen Studien gemacht wurden, und dabei einige Erfahrungen sammeln können.

Leider ist es heute so, dass unabhängige Forschungen an Unis, die früher die Regel waren, immer mehr zur Ausnahme werden, weil der normale Haushalt meist nur zur Routine reicht (Patientenversorgung, Lehre, Bürokratie, Sachmittel usw.) Wer forschen will, braucht meist Geldgeber aus Wirtschaft oder von staatlichen Stellen. Solche Gutachtenaufträge sind oft mit bestimmten Erwartungen verbunden. Viele Wissenschaftler neigen dann dazu, diese Erwartungen möglichst zu erfüllen, schon um Folgeaufträge an Land zu ziehen. Es sollte also immer gefragt werden, wer das Geld für irgendeine Studie gezahlt hat.

Allerdings ist festzuhalten, dass es auch viele Wissenschaftler gibt, die zu Erkenntnissen stehen, die nicht den Erwartungen ihrer Auftraggeber entsprechen. Solche Ergebnisse verschwinden dann aber meist in den Schubladen der Auftraggeber.

Der verlinkte Beitrag „Was passiert, wenn Mütter früh wieder arbeiten gehen“ beruft sich u.a. auf eine „Studie“, die behauptet, dass ein früher Beginn von Krippenbetreuung die Häufigkeit von auffälligem Sozialverhalten im Alter bei Einschulung vermindere. Das Ergebnis passt natürlich exakt zur Krippenpolitik der bisherigen Regierung. Den Geldgeber konnte ich bisher nicht sicher ermitteln. Vermutlich war es das Bundesfamilienministerium.Eigentlich sollte der Geldgeber erkenntlich sein. Wenn das nicht der Fall ist, ist das schon ein Indiz für Misstrauen. Diese „Studie“ ging mit großem Presseaufwand 2015 durch alle Medien, weswegen ich mich damals etwas näher damit befasst habe.

Die „Studie“ enthält Ergebnisse, die weit überinterpretiert werden und damit als unzulässig bewertet werden müssen. Dazu nur einige Angaben:

  • Die untersuchten Kinder eines Einschulungsjahrgangs in Dresden waren zu 94 % in einer Krippe. Nur 6 % gingen erst ab drei in einen Kindergarten. Das ist im Gebiet der früheren DDR nicht ungewöhnlich. Es liegt daher nahe anzunehmen, dass es sich bei diesen wenigen Nicht-Krippen-Kindern von vornherein um Problemkinder handelte, die deshalb nicht in eine Krippe gegeben, sondern erst später in einen Kindergarten geschickt wurden.

Wenn diese Kinder dann auch bei Einschulung noch auffälliger waren als andere muss das also nicht Folge der fehlenden Krippenbetreuung sein. Es kann ebenso gut umgekehrt sein, dass eine von vornherein bestehende Auffälligkeit Grund für den Nichtbesuch einer Krippe oder für einen späteren Eintritt war. Wenn beides auseinandergehalten werden soll hätten die Kinder schon in früherem Alter (also vor Krippeneintritt) untersucht werden müssen. Das war aber nicht Fall. Somit ist die Behauptung, früher Krippeneintritt führe zu weniger Auffälligkeit bei Schuleintritt, eine typische Überinterpretation, die in keiner Weise gerechtfertigt ist.

Das ist ein typischer Fehler, der vor allem von Anfängern (oder von manipulierenden Wissenschaftlern) immer wieder gemacht wird, nämlich, dass aufgrund einer zahlenmäßigen Beziehung auf einen ursächlichen Zusammenhang geschlossen wird. Jedem ist ja das Beispiel bekannt, dass der Rückgang der Geburten und der der Störche gleichzeitig erfolgten. Aber das ist eben noch kein Beweis dafür, dass Störche die Kinder bringen. Das Beispiel passt nicht so ganz, weil ja die Beziehung zwischen Krippenbesuch und psychischer Auffälligkeit zutreffend sein mag. Offen ist aber, was Ursache und was Wirkung ist.

  • Die Angaben über psychische Auffälligkeiten wurden ausschließlich von den Eltern erfragt (per Fragebogen bei der Einschulungsuntersuchung).
    Es kann durchaus sein, dass Krippeneltern (z.B. aufgrund eines unterschwellig schlechten Gewissens) psychische Auffälligkeiten ihrer Kinder verdrängen. Auch hier wären Untersuchungen durch geeignete Psychologen, die gleiche Maßstäbe anlegen, aussagefähiger gewesen. Aber das wäre freilich erheblich teurer geworden.
  • Die bisher größte Untersuchung zu den Folgen von Krippenbetreuung (NICHD-Studie in den USA) erbrachte, dass psychische Auffälligkeiten mit der Dauer von Krippenbetreuung vor allem später (in der Pubertät und danach) zunehmen. Das konnte aber bei dieser Studie gar nicht untersucht werden, weil sie sich nur auf das Einschulungsalter bezog.

Fazit:

Generell sollte man sehr vorsichtig sein und nicht leichtgläubig jeder „Studie“ glauben. Ob ein Ergebnis glaubwürdig ist, ist nur bei genauerer Prüfung der angewandten Methodik und Kenntnis der dabei möglichen Fehlerquellen beurteilbar. Wer dazu nicht in der Lage ist, z.B. weil die Quellen nicht zugänglich sind, ist oft besser beraten, dem eigenen Bauchgefühl zu folgen, als „Studien“ blind zu glauben. Wissenschaft ist eine wunderbare Sache, aber eben nur, wenn sie wirklich als Suche nach der Wahrheit begriffen und danach gehandelt wird.“

An dieser Stelle vielen Dank, Herr Resch, für Ihre Ausführungen.

 

Zudem hat mich die Meinung des von mir sehr geschätzten Dr. Rainer Böhm (Mein Interview mit ihm kannst Du Dir hier nochmal ansehen), interessiert:

„Grundsätzlich muss man immer sehr genau nachprüfen, ob die angeblich positiv ausgefallenen Studien tatsächlich 0 bis 2-Jährige im Fokus haben, das ist nämlich längst nicht immer der Fall. Außerdem muss man speziell auf die Untersuchung der sozioemotionalen Entwicklung* achten. Eine Untersuchung, die vor allem auf kognitive Aspekte ausgerichtet ist, reicht zur Beurteilung nicht aus.

Auch die Qualität des Studiendesigns und der -durchführung spielt eine Rolle. Methodisch gute Studien finden in der Regel Probleme (z.B. NICHD, Quebec). […] Und die Auftraggeber-Interessen spielen natürlich auch eine Rolle.“

*Emotionale und soziale Kompetenzen sind eng miteinander verknüpft und beeinflussen die Qualität unserer sozialen Beziehungen wesentlich. Sie bestimmen, wie gut wir zum Beispiel mit eigenen Emotionen und den Emotionen und Wünschen anderer umgehen und soziale Konflikte bewältigen können. Der Erwerb emotionaler und sozialer Kompetenzen ist eine wichtige Entwicklungsaufgabe der Vorschulzeit und die Basis für psychosoziale Gesundheit. Quelle

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