OFFENER BRIEF

an die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende und

Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

MANUELA SCHWESIG:

 

Sehr geehrte Frau Schwesig,

in Ihrem Twitter-Post vom 28. September 2016 teilen Sie ein Bild mit der Aufschrift:

„32,7 % der unter dreijährigen Kinder gehen in Kindertageseinrichtungen!“

Weiterhin verweist das Bild auf eine Seite des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (kurz BMFSFJ). Dort berichtet das BMFSFJ unter anderem wie folgt:

„Manuela Schwesig lobte diese Entwicklung, betonte aber, dass es weiterhin mehr Bedarf gebe und auch die Qualität in Kitas weiter gefördert werden müsse.“

Außerdem:

„Wir brauchen in Politik und Gesellschaft ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass mit frühkindlicher Bildung die entscheidenden Weichen für Chancen- und Bildungsgleichheit für alle Kinder gestellt werden.“

Wenn man andere Fremdbetreuungsmöglichkeiten außen vorlässt, wird also, laut den Informationen des Statistischen Bundesamtes, etwa jedes dritte Kind unter drei Jahren in einer Kindertageseinrichtung, fern vom heimischen Umfeld, fremd betreut.

 

Dabei legen aktuelle Erkenntnisse aus der Wissenschaft nahe, dass dies Kindern, zum Teil sogar langfristig, schaden kann.

 

So schreibt Prof. Joachim Bauer in seinem Buch „Das Gedächtnis des Körpers“: Im Körper ist gespeichert, was wir psychisch mit unseren Fürsorgepersonen erlebt haben.

Beispielsweise Herzinfarkte im Erwachsenenalter können mit frühkindlicher Stressbewältigung in Zusammenhang gebracht werden, belegt die Studie Felitti in den USA. Dort wurden 25.000 Erwachsene betreut und überprüft.

Rainer Böhm, Facharzt für Kinder und Jugendmedizin und Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrums in Bethel, erklärt: „Infektionskrankheiten, Neurodermitis und Kopfschmerzen bei Kleinsten sind in Betreuung häufiger feststellbar.“

Studien der letzten 20 Jahre (NICHD oder Wiener Kinderkrippenstudie) haben gezeigt, dass verschiedene Betreuungsformen von Kleinkindern mit teilweise erheblichen Stressbelastungen einhergehen. Zahlreiche Kinder in außerfamiliären Gruppenbetreuungen haben erhöhte Cortisol-Werte während der gesamten Betreuungszeit.

In der Betriebsmedizin wird dieser hohe Cortisol-Spiegel am Abend bei Managern gemessen, die ständigem Stress ausgesetzt sind. Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine „gute“ Einrichtung handelt, eine Tagesmutter oder sogar eine Fremdbetreuung, bei der nur zwei Kinder gleichzeitig betreut werden: 90% der Kinder hatten einen erhöhten Cortisol-Spiegel.

In einer Wiener Kinderkrippenstudie heißt es in den Schlussfolgerungen: „Mit fortschreitender Krippenbetreuung zeigen die Kinder ungünstige Stressverarbeitungsmuster.

Frau Prof. Dr. Eva Rass schildert, dass sich bei einjährigen Kindern nach 5 Monaten Betreuungsdauer erheblich erniedrigte Cortisol-Werte am Morgen fanden, und der Cortisol-Spiegel dem von deprimierten Kleinkindern in russischen und ukrainischen Waisenhäusern entsprach.

Die bislang umfangreichste US-Langzeitstudie „NICHD – Early Child Care Research Network“, die seit den 90er Jahren rund 1300 Kinder von der Geburt bis zum sechsten Schuljahr begleitete, kommt zu dem Ergebnis, dass die Belastungen und der Stress einer mehrstündigen, täglichen Fremdbetreuung in der frühesten Kindheit noch bis in die Pubertät negativ nachwirken können.

Selbst 15-jährige, die in den ersten Jahren in großen Gruppen betreut wurden, hatten immer noch verdrehte Cortisol-Werte!

Forscher wie Rainer Böhm oder Rima Shore sind sich einig: In den ersten 18 Lebensmonaten ist die außerfamiliäre Betreuung unter allen Umständen zu vermeiden, da in dieser Zeit existenzielle Entwicklungsschritte geschehen.

 

Als Mutter habe ich mich auf Grundlage meines persönlichen Empfindens, sowie unter Beachtung aktueller Erkenntnisse von Experten und Studien dazu entschlossen, meinen Sohn selbst zu betreuen.

Dabei erlebe ich es immer wieder, dass Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen, nicht dieselbe politische und gesellschaftliche Anerkennung entgegengebracht wird, im Vergleich zu Eltern, die sich für die Fortführung ihrer beruflichen Laufbahn entschieden haben.

Aus diesem Grunde engagiere ich mich seit Dezember 2015 auf meiner Onlineplattform für Eltern, die ihre Kinder selbst betreuen möchten. Dabei erreichen mich immer wieder Zuschriften von ratlosen Eltern, die durch ihre finanzielle Situation in die Fremdbetreuung ihrer Kinder gezwungen werden, obwohl sie das gar nicht möchten.

Brauchen wir als Sozialstaat nicht eher ein Bewusstsein dafür, dass Eltern gerade in der frühkindlichen Phase einen wesentlich wertvolleren und gesünderen Beitrag zu der Entwicklung ihrer Kinder leisten können?

Und brauchen wir nicht ein System, welches Eltern ermöglicht, sich frei von finanziellen Zwängen für eine Heim- oder Fremdbetreuung zu entscheiden?

Der Aufbau einer neu zu errichtenden Kindertageseinrichtung kostet pro Platz zwischen 12.000 und 25.000 Euro, klärt die Seite www.mittelstand-und-familie.de auf.

Der Krippenplatz selbst koste pro Kind im Monat zwischen 500 und 1.500 Euro, je nachdem, ob es sich um einen Halbtags- oder einen Ganztagsplatz handele.

Auf der Seite des BMFSFJ werden weitere Zahlen vorgestellt:

„In dieser Legislaturperiode hat der Bund bereits den quantitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung mit 550 Millionen Euro aus dem dritten Investitionsprogramm unterstützt. Zudem erhalten die Länder die durch den Wegfall des Betreuungsgeldes frei werdenden Mittel von rund 2 Milliarden Euro bis 2018 für Zwecke der Kinderbetreuung.“

Wenn nur ein Bruchteil dessen an Mütter ginge, die ihre Kinder in den ersten Jahren lieber selbst betreuen möchten, aber meinen, aus finanziellen Gründen keine Wahl zu haben, wäre eine zwanghafte Massenerrichtung von Kindertagesstätten vermutlich kein Thema mehr.

„Eltern haben eine eindeutige Position dazu: Rund 88 Prozent halten eine Verbesserung der Qualität in der Kindertagesbetreuung für wichtig. Für die Politik ist das ein klarer Auftrag“, heißt es weiterhin.

Ist das nicht so auszulegen, dass 88% der Eltern mit der Betreuung durch eine Kita unzufrieden sind?

Denn aktuell scheint man aus Mangel an Plätzen, auf die Eltern per Gesetz einen Rechtsanspruch haben, den Fokus auf die Quantität, nicht aber auf die Qualität der Einrichtungen zu legen.

Was das für die Kleinsten unter uns bedeutet, darüber darf ich gar nicht nachdenken.

Sehr geehrte Frau Schwesig, ich bitte Sie, im Interesse aller Mütter, denen die Selbstbetreuung ihrer Kinder am Herzen liegt, legen Sie diesen Brief nicht auf die Seite. Sie sind ebenfalls Mutter eines Sohnes, aber auch einer knapp 7 Monate alten Tochter und können sich daher sicherlich gut einfühlen.

Ich freue mich auf Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre

Jenniffer Ehry-Gissel

 

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