Liebe Frau Martin, vielen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben, uns für ein Interview zur Verfügung zu stehen. Wenn ich das so sagen darf: Sie sind eine beeindruckende Frau, die in ihrem Leben unter anderem dafür gekämpft hat, dass das Natürlichste der Welt wieder zur Normalität in unser aller Leben wird: Kinder gehören in den ersten Lebensjahren zu Ihren Eltern!

 

Im Verband Familienarbeit e.V. (früher Deutsche Hausfrauengewerkschaft) bekleiden Sie das Amt der Bundesvorsitzenden. Erläutern Sie uns zunächst, wofür der Verband steht, und grob, welche Ziele Sie für sich definiert haben?

Der Verband Familienarbeit e.V.  trägt ja den Untertitel „Verband zur Förderung der eigenständigen finanziellen und sozialen Absicherung häuslicher Eltern- und Pflegearbeit“. Damit ist unser Hauptziel benannt. Es geht uns wohlgemerkt auch um die Absicherung der Pflegearbeit für kranke und alte Familienangehörige. Dies bleibt in unserem Engagement ein wenig im Hintergrund, weil der Gesetzgeber da doch schon Einiges tut. Es gibt die Pflegeversicherung und das Pflegegeld. Ansätze, die in Zukunft noch ausgebaut werden müssen.

 

Was ist Ihnen als Verband wichtig, wofür setzen Sie sich grundlegend ein?

Wir sind ständig mit ausgefahrenen Antennen unterwegs, um frühzeitig Entwicklungen in Gesellschaft und Politik aufzugreifen, die für die Existenz der Familie als Kern- und Keimzelle der menschlichen Gemeinschaft wichtig sind. Der in unserem Grundgesetz festgeschriebene „Schutz von Ehe und Familie durch die staatliche Ordnung“ ist nach unserer Überzeugung sehr fragil geworden. Da handeln wir als Verband nach dem Grundsatz: „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“.

 

Warum ist es so wichtig, dass ein Kind in den ersten Jahren von seinen Eltern betreut wird? Welche Rolle spielt die Bindung in den ersten Lebensjahren, und warum sind Eltern die beste Lösung für die Betreuung?

Der Mensch ist biologisch ein Säugetier.  Daher sind ihm die richtigen Verhaltensweisen von der Natur vorgegeben. Das gilt auch für die Aufzucht des Nachwuchses. Die möglichst permanente Nähe der festen Bezugsperson – und das ist normalerweise die Mutter- schafft in der Psyche des Kindes ein festes Fundament, auf dem auch noch der erwachsene Mensch den Stürmen des Lebens trotzen kann. Die verlässliche Bindung an seine Bezugsperson ist zudem die Voraussetzung dafür, dass der kleine Mensch den Rückhalt spürt, der ihm Neugierverhalten, also „Bildung“ ermöglicht.

 

War das Betreuungsgeld von 150 Euro Ihrer Meinung nach ein Schritt in die richtige Richtung? Was sind 150 Euro im Vergleich zu den Kosten, die der Staat für einen Krippenplatz aufwendet?

Wir haben lange darüber gebrütet, ob wir die miesen 150 € als Beleidigung empört zurückweisen oder eben als „Schritt in die richtige Richtung“ akzeptieren sollten. Wir haben uns für Letzteres entschieden, weil dieser Schritt eben ein allererster war in Richtung einer finanziell unterlegten Anerkennung der elterlichen Erziehungs- und Betreuungsarbeit. Die Höhe der Subventionierung eines Krippenplatzes mit Steuergeldern wird in der Regel mit 1000 bis 1200 € angegeben, abgesehen von den von Kommune zu Kommune verschieden hohen Gebühren, die die Eltern zu zahlen haben. Diese liegen aber meist im einstelligen Prozentbereich der Kostendeckung. Jedenfalls steckt der Staat eine Menge Geld in die „Subventionierung der Abwesenheit der Eltern von ihren Kindern“, sprich: Fremdbetreuung. Im Sinn einer fairen und korrekten Gleichbehandlung jeglicher Form der Kinderbetreuung müsste für selbst betreuende Eltern eine adäquate Förderung bereitstehen. Tut sie aber nicht!

 

Stichpunkt „Rente“. Denken Sie, unsere Generation (die zum jetzigen Zeitpunkt Mütter von Kleinkindern sind) bekommt von dem Kuchen noch etwas ab? Lohnt sich die Debatte über die Rentenpunkte überhaupt?

Na ja, wieviel der ganze Kuchen dann noch wert sein wird, ist schwer abzuschätzen. Aber nachdem die Mütter ganz allein dafür „zuständig“ sind, dass es überhaupt eine Nachfolgegeneration an Renteneinzahlern geben wird, sollten sie doch zumindest am Ertrag dieser Arbeit gerecht beteiligt werden. Es ist ja ein weit verbreiteter Irrtum zu glauben, die heute eingezahlten Rentenbeiträge stünden im Alter zur eigenen Verfügung! Diese werden aber zeitgleich an die heute Anspruchsberechtigten als Rente ausbezahlt. Der Anspruch der Einzahler auf eine eigene Altersversorgung ist rein fiktiv. Früher, als es genügend Nachwuchs gab, war das kein Thema. Heute, nachdem die Frauen begriffen haben und es ihnen auch ständig vorgebetet wird, z.B. von der Familien- und Frauenminsterin Schwesig, dass sie, um Altersarmut zu vermeiden, doch bitte möglichst wenig Zeit mit der Betreuung eigener Kinder vertun sollten, haut das nicht mehr hin. Diese Kinder haben dank unserer verkehrten Rentengesetzgebung vorzugsweise die Renten derer zu finanzieren, die keine Lücken in ihrer Erwerbsbiografie haben, weil sie sich die Erziehung eigener Kinder sparen. Um den Bestand zu erhalten, müsste jede Frau im Schnitt 2,1 Kinder gebären. Wir liegen aber bei 1,4.

 

Was können wir uns unter dem Begriff „Gender-Mainstreaming“ vorstellen und wie stehen Sie dazu?

Unter der Flagge des Gender Mainstreaming (GM) fahren die verschiedensten Deutungen, Ideale,  Absichten und Zielsetzungen. Diese Verwirrung ist nach unserer Überzeugung Programm und wird übrigens auch in anderen Themenbereichen betrieben: Die von den entsprechenden politischen Maßnahmen Betroffenen kriegen sich bei der Beurteilung, was daran gut oder schlecht sei, in die Wolle. Eine sachliche Meinungs-und Willensbildung, die die wesentliche Grundlage der Demokratie ist, wird verhindert. Im Falle des GM wurden Beschlüsse, die 1995 bei der Weltfrauenkonferenz in Peking gefasst worden waren, kurzerhand als Verordnungen und Vorschriften bis auf die untersten Verwaltungsebenen („top-down“) durchgereicht. Es hört sich gut an, wenn da steht, jeder Mensch solle das Recht haben, gemäß seiner individuellen Neigung, Begabung und Interessen zu leben, ohne dass  er dadurch Nachteile erleiden muss.  Z. B. dürfen Menschen mit von der Hetero-“Norm“ abweichender sexueller Orientierung nicht diskriminiert werden. Da sind in der Vergangenheit viele Fehler gemacht worden oder sogar Verbrechen passiert.

Was nun aber die Gleichberechtigung von Mann und Frau – oder wohl eher der Frau gegenüber dem Mann – angeht, sind wir inzwischen in eine merkwürdige Schieflage geraten: Anstatt die Benachteiligung derer, die für diesen Staat den Nachwuchs aufziehen (vorzugsweise der Mütter), aufzuheben, orientierte und orientiert sich Gender Mainstreaming als  Werkzeug eines aus unserer Sicht fehlgeleiteten Feminismus am angeblich zu bekämpfenden patriarchalen Denken: Er fordert und fördert nur die Gleichstellung der Frauen in der traditionell überwiegend von den Männern besetzten Erwerbsarbeitswelt und schließt einen Gleichberechtigungsanspruch der Frau in der Mutterrolle  und auch der Väter, wenn sie die häusliche Erziehung übernehmen, kategorisch aus.

Unter diesem Link ist die Definition des Genderkompetenzzentrums der Bundesregierung zu finden. Wir sehen das Hauptproblem darin, dass die Begriffe Gleichstellung und Gleichberechtigung fahrlässig oder absichtlich als bedeutungsgleich, also beliebig austauschbar eingesetzt werden.  Gleichstellung strebt aber die Gleichbehandlung von angeblich Gleichem (Mann und Frau lt. GM) an, während die Gleichberechtigung das von Natur, Begabung, Interesse her Verschiedene, aber Gleichwertige, meint. Gleichstellung wäre, wenn alle Menschen gesetzlich verpflichtet würden, gleich große Schuhe zu tragen. Die Gleichberechtigung räumt jedem Menschen das Recht ein, seine Schuhgröße frei zu wählen. Unser Grundgesetz fordert die „Gleichstellung vor dem Gesetz“ (Gleichberechtigung), während die Bundesregierung die „Gleichstellung in allen Lebenslagen“ (Bevormundung) betreibt. Die bevormundende Gleichstellungspolitik hat uns dahin geführt wo wir heute stehen: Auflösung der Familie, Auslagerung der Kindererziehung, Doppelbelastung der Eltern, Altersarmut der Mütter, Geburtendefizit, Streit ums liebe Geld zwischen den Ehepartnern. Mutter zu sein erscheint als gleichbedeutend mit Dummheit.

 

Sie setzen sich schon sehr lange für die Rechte der Kinder ein. Würden Sie sagen, es hat sich zu „früher“ etwas verändert? Wenn ja, was?

In unserem Grundgesetz werden die Rechte der Kinder wie die der Eltern durch den Schutz der Familie nach Artikel 6 Abs. 1 GG garantiert. In Abs. 2 werden die Eltern als für die Wahrung der Kinderrechte zuständig eingesetzt. Auf dieser Grundlage ist klar, dass es Kinderrechte im Sinn des Kindeswohls ohne oder gegen Elternrechte nicht geben kann. Der Staat kommt nur dann ins Spiel, wenn Eltern ihre Rechte überdehnen oder ihren Pflichten nicht nachkommen wollen oder können.
Jüngste Bestrebungen, im Grundgesetz die Kinderrechte neben dem Elternrecht extra aufzuführen, sehen wir kritisch. Dann könnte sich der Staat als Schiedsrichter zwischen den Rechten von Eltern und Kindern in Szene setzen. Z.B. könnte behauptet werden, Kinder hätten ab dem 2. Lebensjahr ein „Recht auf Bildung“, wie sie in der Krippe angeboten werde. Dieses „Recht“ wäre dann auch gegen den Willen der Eltern durchsetzbar. Ein Recht auf die angemessene, am Kindeswohl ausgerichtete und staatlich  vorzugsweise mitgetragene Präsenz der Eltern bei ihren Kindern steht dagegen nicht im Raum. Im Übrigen plädiere ich für ein „Wahlrecht ab Geburt“ als ganz normales Bürgerrecht, das auch Kindern zusteht, und ggf. im Rahmen ihres Sorgerechts von den Eltern wahrzunehmen wäre.

 

Sie bekommen aufgrund ihres Engagements viel Gegenwind. Wer fühlt sich von Ihnen auf den Schlips getreten und aus welchen Gründen?

Aufgrund meiner Ausführungen können Sie sich diese Frage leicht selbst beanworten. Alle, die die gegenwärtige Situation der Familie für „modern“ und „fortschrittlich“, also per se für gut halten, verhöhnen unser Engagement als vorgestrig. Oder sie beschimpfen es gar als „rechtslastig“, nur weil das  linke Gegenmodell („Familie ist da, wo Kinder sind“, also bevozugt in der Kita) diese Polarisierung nahelegt. Dazu wären aber noch historische Erläuterungen notwendig, die den Rahmen dieses Interviews sprengten.

 

Welcher Grundsatz leitet Sie, trotz so viel Gegenwind, Ihre wichtige Arbeit fortzuführen?

Nachdem ich fünf Kinder großgezogen hatte, war ein familienpolitisches Engagement als Fortsetzung  in meiner Lebensgestalung nur logisch. Und ich bin niemand, der sich wegduckt, wenn es um Gerechtigkeit geht.

 

Aktuell gibt es eine Petition (Klick), die der Verband Familienarbeit bewirbt, um mehr Unterstützer für ein gleichhohes Elterngeld für Kinder U3 zu gewinnen. Das ruft sicherlich nicht nur die Unterstützer auf den Plan, sondern auch viele Zweifler.
Daher interessiert an dieser Stelle, was Sie zu folgenden Statements sagen:

 

„Sei doch froh, dass es überhaupt Elterngeld gibt. Das ist Jammern auf ganz hohem Niveau.“
Da sollte man doch genauer hinsehen, wer da jammert. Mütter, die aus einer gut dotierten Erwerbsarbeit heraus ein Kind gebären und betreuen, erhalten ein viel höheres Elterngeld als  z.B. eine Studentin oder eine Auszubildende oder gar eine Mutter, die wegen der Betreuung eines oder mehrerer älterer Kinder nicht erwerbstätig war. Es wird also nicht die Erziehungsarbeit als solche bewertet und anerkannt, sondern es wird ein Lohnersatz, quasi ein „Schadensersatz wegen Geburt eines Kindes“ gewährt, wie bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit. Das ist ein fatales Signal der Verachtung der Mütter.

 

„Eine gleiche Verteilung des Elterngeldes wäre unfair denen gegenüber, die vor der Geburt des Kindes hart gearbeitet haben oder lange studieren mussten, um einen entsprechenden Verdienst zu erreichen.“
Studierende und Auszubildende mühen sich, um in unsere Arbeitswelt hineinzuwachsen. Eine Mutter bzw. der Vater, die/der zuhause Kinder erzieht, arbeitet auch „hart“, mit Bereitschaftsdienst und Verantwortlichkeit rund um die Uhr, ohne Urlaubsanspruch.

 

„Wie viele (Mütter) werden dann plötzlich Kinder in die Welt setzen, nur um drei Jahre Geld zu bekommen? Es gibt leider schon viele verwahrloste Kinder.“
Dieses Argument ist boshaft, weil es unfair verallgemeinert. Abgesehen davon, dass wir wirklich mehr Kinder brauchten, ist die Verwahrlosung von Kindern oft die Folge einer wirtschaftlichen Notlage, die durch die Nicht-Bewertung der elterlichen Erziehungsarbeit entsteht. Im Ernstfall von Verwahrlosung ist das Jugendamt zuständig, nach dem Rechten zu sehen.

 

„Wer soll das finanzieren? Woher soll das Geld kommen?“
Für ein dreijähriges, für alle Eltern gleich hohes Erziehungsentgelt würde ja das Elterngeld umgewidmet. Das ist schon mal ein großer Batzen. Dieses Entgelt können Eltern dann entweder behalten als „Lohn“ für selbst geleistete Erziehungsarbeit oder sie können damit die Kita-Gebühren bezahlen, wenn sie selbst lieber erwerbstätig sein wollen. Eine solche wirkliche „Wahlfreiheit“ wäre doch gerecht und für alle eine große Hilfe!

 

Liebe Frau Martin, ich bedanke mich für das interessante Gespräch und die Zeit, die Sie dafür aufgewendet haben, uns diese Fragen zu beantworten. Ihnen persönlich und dem Verband Familienarbeit e.V. alles Gute!

 

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