Ich sitze in einer Runde von Menschen, die beschämt auf den Boden gucken. Wir kennen uns nicht. Ich habe nun das Wort. Unsicher schaue ich nach oben, ins Leere, denn Blickkontakt, den will ich nicht.

Und ich höre mich von ganz weit weg sagen: „Hallo. Mein Name ist Jenniffer. Ich bin 38 Jahre alt. Und…

…wir leben kindergartenfrei.“

Bäm.

Ich kneife die Augen zu und blinzele kaum merklich. Wie werden sie darauf reagieren?!

Die anderen schauen hoch, sie sehen mich an und ich traue mich jetzt auch. Erleichterung steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Und ich lese in ihren Gesichtszügen „Gott sei Dank, ich bin nicht mehr alleine.“

Die Randgruppe wächst.

Oder wie es Frau Rennefanz in ihrem Berliner-Zeitung-Artikel „Anti-Kita-Bewegung – Keiner kennt mein Kind so gut wie ich“ ausdrückt: „Eine kleine, aber wachsende Gruppe von Frauen in Deutschland, […]  die ihre Kinder nicht vernachlässigen wollen.“

Naja. Für uns gibt es noch andere Gründe, kitafrei zu leben. Beispielsweise, dass ich meinen Kindern gerne meine eigenen Werte mitgeben möchte.

Die literarische Glanzleistung liest sich wie die Warnung vor einer Sekte, die gefährlich wächst.

„Die Selbstbetreuerinnen treten selbstbewusst auf, sie sehen sich als eine Art Elite-Eltern“, heißt es in dem Artikel.

Sind Seltenheiten nicht immer irgendwie besonders? Schon alleine weil andere sich dafür interessieren. Die jüngsten Zahlen des Bundesfamilienministeriums weisen übrigens 93,6 % kitabetreute Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren auf. Also nur 6,4 % kitafrei. Tendenz steigend.

Warum man uns aber als „Elite“ bezeichnen muss, finde ich fragwürdig. Eigentlich sogar bösartig. Oder sind Randgruppen immer elitär?!

„Die Bewegung hat Anhänger in Ost und West, auf dem Land und in der Großstadt, sie gilt als Sammelbecken für Alternative, Esoteriker, Impfgegner, konservative Christen“, heißt es weiter.

Moment mal, das ist jetzt aber schlecht recherchiert, Frau R-Punkt. Sie vergaßen vegan, baby-led-weaning und Reboarder zu erwähnen. Aber zumindest in meinem Falle gestehe ich ein, dass sie damit nicht so ganz falsch liegen. 😉

Auch Frau Viernickel, eine der renommiertesten Kita-Forscherinnen in Deutschland, die zahlreiche empirische Studien durchgeführt hat, kommt zu Wort.

Auf die Frage „Werden aus Kindern, die eine Kita besuchen, unsichere und depressive Erwachsene?“ antwortet sie: „Das ist völlig aus der Luft gegriffen, da gibt es keinen Zusammenhang. Im Hinblick auf die spätere Lebenstüchtigkeit mache es keinen Unterschied, ob die Kinder in den ersten Lebensjahren zu Hause oder in einer Einrichtung betreut wurden. Im sprachlich-kognitiven und sozial-emotionalen Bereich kann ein Besuch einer guten Kita sogar von Vorteil sein.“

Nun befinden wir uns wieder bei den unter Dreijährigen. Man muss aber einen ganz deutlichen Unterschied machen zwischen Kindern unter drei und Kindern über drei Jahren.

Darüber alleine kann ich einen eigenen Artikel schreiben. Oder meinen Vortrag „Warum die Selbstbetreuung in den ersten drei Jahren so wichtig ist“ empfehlen.

Nur so viel an dieser Stelle:

Kinder, die früh in eine Kita kommen, sprechen vielleicht schneller und besser. Müssen sie auch, sie haben nicht die Mama an ihrer Seite, die sie auch wortlos versteht. Worte können jedoch auch später noch gelernt werden, der Erwerb des Urvertrauens findet aber einzig in den ersten Lebensjahren statt.

Wissenschaftler haben übrigens herausgefunden, dass in den ersten drei Lebensjahren vor allem die rechte Gehirnhälfte stark wächst. Hier geht es um die Gefühlsentwicklung, um Emotionen. Erst nach dem 3. Geburtstag holt die linke Gehirnhälfte auf. Hier spielt das Lernen eine große Rolle: die Sprache, das Mengenverständnis, logisches Denken.

Und Kinder unter drei spielen nebeneinander her, nicht miteinander. Soviel zum Thema soziale Kontakte.

Dann würde mich beiläufig doch noch interessieren, wer die Auftraggeber Ihrer Studien sind, Frau Viernickel.

Und, ach ja, Frau Viernickel, in welche Kita genau möchten Sie, dass wir unsere Kinder schicken? Laut der NUBBEK-Studie, die die Krippenqualität in Deutschland prüfte, wurden nur 3 % der Einrichtungen als „gut“ bewertet, 85 % als mittelmäßig eingestuft und 12 % sogar als schlecht!

Weiter heißt es in dem Artikel: „[…] Außerdem hilft eine gute Kita den Kindern dabei, die Trennung von den Eltern zu verkraften.“

Zwischenfrage: Eine Trennung also, die bei kindergartenfrei lebenden Familien gar nicht erst eintritt? Und was ist schon „gut“?! Der Lottogewinn von 3 %?

Joa, das macht Sinn.

Phu.

Mir geht hier gerade die Puste aus. Ich könnte Romane schreiben zu dem Artikel, doch ist mir die Zeit ehrlich gesagt zu schade. Ich verbringe sie lieber mit den größten Geschenken, die ich in meinem Leben bekommen habe: Meinen Kindern.

Einen würdigen Abschluss mitsamt einem Fazit lass ich mir dennoch nicht nehmen:

Auf den ersten Blick scheint der Artikel harmlos. Doch wer die Fähigkeit besitzt, zwischen den Zeilen lesen zu können, der merkt schnell: Frau Rennefanz triggert das Thema ganz schön.

Liebe Autorin, ich bin bereit, mein Pendel einer auf Sie zugeschnittenen, persönlichen Befragung zu unterziehen. Schreiben Sie mich dafür gerne an.

Äh, Moment, mein Kind schreit. Sie verstehen sicher… Ich muss weg…

…Wenn ich doch nur die Fußfessel lösen könnte…

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