Die Wut fühlen dürfen

„Guten Morgen, ich liebe dich“. Mein Sohn (4) strahlt mich an.

Wir liegen im Bett, er hat gerade die Augen geöffnet. Ich noch nicht so richtig.

„Ich liebe dich auch, mein Schatz. Und ich wünsche uns einen schönen Tag“, flüstere ich müde.

Keine fünf Minuten später liegt der gleiche kleine Mensch auf dem Boden des Badezimmers und schreit und wütet, weil ich nicht sofort jetzt mit ihm Einkaufen spielen möchte.

‚Man, ist der unausgeglichen‘, möchte man denken.

Dass er eben nicht unausgeglichen ist, und was stattdessen vor sich geht, darum wird es heute gehen.

Aber zunächst einmal zurück zu mir ins Badezimmer:

Einatmen. Ausatmen.

Oh nein, so darf doch der Tag nicht beginnen. Nicht schon wieder

Kennst Du das Gefühl?

Mir hat es geholfen zu verstehen, was in den kleinen Kindern vorgeht, wenn sie so durchgerüttelt werden von all ihren Gefühlen.

Man denkt, die Welt würde untergehen.

Und das Interessante daran: Deren kleine Welt geht tatsächlich gerade irgendwie unter.

Umso wichtiger ist es da, sie in ihrem Prozess zu begleiten. Sie nicht, unter keinen Umständen, alleine zu lassen. Denn das schürt Angst. Und dann wird es noch viel schlimmer.

Statt sich kennenzulernen, in ihren Gefühlen wahrzunehmen und diese einordnen zu können müssen sie sich mit Verlassensängsten auseinandersetzen. Das wiederum führt gegebenenfalls dazu, dass sie mehr Nähe brauchen statt sich loszulösen, die Welt und sich selbst zu entdecken.

Leben im Moment

Ist Dir aufgefallen, dass Kinder grundsätzlich im Moment leben?

Von himmelhochjauchzend zu Tode betrübt. Und das von jetzt auf gleich.

Ein Phänomen in unseren (Erwachsenen-) Augen.

Auch können sie nur ein Gefühl zur gleichen Zeit fühlen.

Zwischen „Mama, du bist die Beste“ und „Blöde Mama“ können gerade mal Sekunden liegen.

Und gegebenenfalls ein „nein“. 😉

Niemals jedoch würde ein Kleinkind denken:

‚Einerseits ist meine Mama die beste Mama auf der Welt, aber andererseits ist sie gerade echt blöd, weil sie nicht mit mir Einkaufen spielt. Trotzdem hab ich sie soooo lieb‘.

So denken kleine Kinder nicht.

Eher so:

Im einen Moment schiebt mich mein Sohn aus der Tür mit den Worten: „Mama, geh jetzt!“ und im nächsten Moment springt er in meine Arme und drückt seinen kleinen Körper bedürftig an mich.

Hier als Erwachsener entsprechend umzuschwenken ist gar nicht so einfach. Ich bin nicht selten ziemlich überfordert ob der Gefühlswelt meines Vierjährigen. Dabei bin ich selbst durch und durch ein Gefühlsmensch.

Die präfrontale Hirnrinde

Es gibt einen entscheidenden Fehler, den wir immer wieder machen:

Kleine Kinder sind keine Miniatur-Erwachsene.

Im Gegenteil. Sie sind noch klein und zerbrechlich. Wir können noch so viel kaputt machen.

Der Entwicklungspsychologe Prof. Dr. Gordon Neufeld spricht von ‚gemischten Gefühlen‘, die die Kinder erst einmal entwickeln müssen. Das muss geübt werden.

Die präfrontale Hirnrinde, auch präfrontaler Cortex genannt, ist die Mischschüssel des Gehirns, so Neufeld. Dort findet die Problemlösung statt. Diese präfrontale Hirnrinde ist noch nicht richtig durchblutet.

Die Fähigkeit zu den ‚gemischten Gefühlen‘ (einerseits – andererseits) ist erst zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr voll entwickelt.

Uff, so lange? Halte ich das aus?

JA! Du schaffst das!

Du wirst sehen, wenn Du Dein Kind jetzt in dieser Zeit begleitest, und es nicht in seinen Gefühlen hemmst, einschränkst oder dämliche Sätze fallen, wie: „Reiß dich zusammen“, wird es sich auszahlen in Form einer besonders guten Beziehung zwischen Dir und Deinem Kind. Voller Vertrauen.

Frei nach dem Motto:

‚If you don´t listen to the little things now they won´t tell you the big things later‘!

 

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