Wir haben ein neues Team-Mitglied an Bord: Andrea. Ich freue mich riesig, euch heute ihren Debut-Artikel vorstellen zu dürfen! Herzlich Willkommen, liebe Andrea! <3
Vor einigen Jahren habe ich einmal im Rahmen meines damaligen Jobs eine Podiumsdiskussion zum Thema „Frauen mit Familie in Führungspositionen“ organisiert. Das Publikum waren junge Studentinnen. Es waren tolle Frauen eingeladen, Karrierefrauen in Top-Positionen in Wirtschaft und Politik. Ich hatte eine Menge spannender Fragen vorbereitet, natürlich auch zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Zielrichtung war klar: Die Studentinnen sollten von den Berichten der Frauen gestärkt werden in ihrer Vorbereitung auf die Rolle der emanzipierten Frau, der es gelingt, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Ich dachte, damals noch kinderlos, die eingeladenen Karrierefrauen sprächen über das Glück, beides vereinbaren zu können und darüber, wie erfüllend das wäre.
Die Realität sah anders aus.
Ja, sie sprachen über ihre Zufriedenheit im Job. Und über das Glück, Kinder zu haben. Aber vor allem sprachen sie ganz viel über ihre innere Zerrissenheit zwischen den beiden Rollen. Ihr schlechtes Gewissen, morgens die Kinder zeitig schon verlassen zu müssen. Ihre Sehnsucht nach ihren Kindern, wenn sie tagsüber in der Arbeit waren. Ihre Traurigkeit, nicht selten abends heimzukommen und die Kinder schlafend vorzufinden.
Damals dachte ich: “Oh nein, irgendwie läuft die Diskussion aus dem Ruder.”
Ich wollte etwas Positives, Bestärkendes hören – für die jungen Studentinnen, die da saßen und wahrscheinlich auch für mich. Und diese Frauen redeten ständig über die ambivalenten Gefühle, die sie ihren Kindern gegenüber hatten.
Wann gehst du denn wieder arbeiten? Hast du schon einen Betreuungsplatz?
Ein paar Jahre später schreiben wir das Jahr 2018. Die Krippenoffensive ist längst in vollem Gange.
2003 lag die Fremdbetreuungsquote in (West-)-Deutschland bei den unter 3-jährigen noch bei 3%.
2016 lag sie bei den 1-2-jährigen bei fast 40 % und bei den 2-3-jährigen, je nach Bundesland, zwischen 60% und knapp 90%.
Fast 40% der unter 3-jährigen Kinder sind wöchentlich 45 Stunden oder länger in einer Betreuungseinrichtung.
Das ist länger als eine Arbeitswoche für Erwachsene. Der Rechtsanspruch auf einen KiTaplatz führt zu weiterem massivem Ausbau, zu Kitas mit längeren Öffnungszeiten und 24 Stunden Kitas. Die Qualität hinkt geradezu dramatisch hinterher, dabei sind fehlendes Personal und dadurch schlechte Betreuungsschlüssel die wesentlichsten Aspekte.
Ich habe inzwischen selbst zwei Töchter, eine im Kindergartenalter, eine im für heutige Maßstäbe schon längst „krippenfähigen“ Alter von 2 Jahren.
Die Entscheidung, sie in einer KiTa betreuen zu lassen fällt mir schwer. Den Betreuungsplatz, den ich eigentlich für sie sicher hatte, habe ich letztens abgesagt. Obwohl ich merke, dass mir manchmal die Decke auf den Kopf fällt, ich gerne mehr geistige Beanspruchung hätte. Ich habe gerne gearbeitet. Ich hatte immer Jobs, die mich gefordert haben und durfte mich mit Themen befassen, die ich sinnvoll und gesellschaftlich wichtig fand. Das erstmal aufzugeben, war und ist manchmal eine Herausforderung. Sehr gerne hätten mein Mann und ich eine zeitlang eine umgekehrte Rollenverteilung ausprobiert, aber es war klar, dass ich alleine mit meinem Einkommen keine Familie hätte ernähren können.
Anerkannt ist die Rolle, die ich momentan als Nur-Mutter lebe, nicht. Ich spüre den Druck der Gesellschaft, spüre ihn seitdem meine erste Tochter ein Jahr alt geworden ist: „Wann gehst du denn wieder arbeiten? Hast du schon einen Betreuungsplatz?“
Damals lebten wir noch in einem ländlich geprägten Ort in der Nähe von München und aus meiner Krabbelgruppe gingen 6 von 8 Frauen nach dem ersten Lebensjahr ihrer Kinder wieder arbeiten. Inzwischen sind wir nach Hessen gezogen und dort gehen die Fragen weiter: „Deine Tochter ist doch schon zwei, wann willst du wieder arbeiten gehen? Du hast doch einen Betreuungsplatz für sie?“
Wahlweise höre ich auch: „Ist das nicht furchtbar anstrengend, den ganzen Tag alleine mit den Kindern?“ oder „Ist das nicht langweilig, nur zu Hause mit den Kindern?“
Ich habe von anderen Müttern, die arbeiten gehen, gehört, sie müssten sich immer dafür rechtfertigen. Aber glaubt mir: Ich muss es auch! Mir schwirrt manchmal schon der Kopf von der Fragerei und den ganzen Rechtfertigungen, die ich mir zurechtgelegt habe.
Ist es nicht ganz normal, sich Sorgen zu machen, wenn man sein Kind in fremde Hände gibt?
Unter Druck scheinen momentan sowieso alle Frauen irgendwie zu stehen:
Die, die zu Hause bleiben.
Die, die ihre Kinder fremdbetreuen lassen.
Die, die kurz vor der KiTa Eingewöhnung ihrer Kinder stehen.
Ich beobachte liebevolle Mütter, die im ersten Jahr ihres Kindes allerlei Sorgen und Ängste haben: Ob sie die Signale ihrer Kinder richtig deuten, ihnen das geben, was sie wirklich brauchen. Die immer nah am Kind dran sind, bedürfnisorientiert und zugewandt. Dieselben Mütter werden auf einmal sehr sachlich, scheinbar emotionslos, wenn sie über die nahende Unterbringung ihrer Kinder in den KiTas sprechen. Bei vielen geht es plötzlich nur noch darum, welche Module man buchen kann, was sie kosten; ob man vielleicht doch lieber noch das Frühmodul und das Spätmodul dazubucht, um auf der sicheren Seite zu sein, wenn man mal länger arbeiten muss oder morgens auf dem Weg zur Arbeit im Stau steht. Es geht viel um die immens hohen Kosten, die so eine U3-Betreuung verursacht, und ob und wie man das als Familie stemmen kann.
Sehr selten geht es um die Ängste und Sorgen der Frauen, ob es ihren Kindern in der Fremdbetreuung auch gut geht. Was ist da los? Wäre es denn nicht legitim, Ängste zu haben oder zumindest ein zwiespältiges Bauchgefühl? Schließlich gibt man sein Kind, zu dem man im ersten Lebensjahr eine enge Bindung aufgebaut hat, auf einmal in andere, in fremde Hände!?
Es ist sicherlich nicht so, dass die Mütter ihren Kindern gegenüber auf einmal weniger liebevoll und zugewandt geworden wären. Ich glaube, wir Frauen stehen einfach massiv unter Druck.
Wir sollen wieder arbeiten gehen, so schnell wie möglich. Das ist politisch gewollt und im Namen der Emanzipation unser Wunsch, ja, fast schon unsere Pflicht. Teilweise müssen wir auch wieder arbeiten gehen, weil es finanziell nicht anders möglich ist. Teilweise wollen wir auch wieder arbeiten gehen, sind uns aber nicht sicher, ob wir unsere Kinder schon so früh oder so lange fremdbetreuen lassen wollen. Aber bei einigen sitzt schon der Chef im Nacken, der will, dass man so bald wie möglich wiederkommt. Einige würden vielleicht viel lieber weniger Stunden arbeiten, um die Betreuungszeit gering zu halten und selbst noch ausreichend Zeit mit ihren Kindern zu haben. Aber der Arbeitgeber gibt zu verstehen, dass es unter 30 Stunden schwierig wäre, die alte Position wiederzubekommen.
Kurzum: Wir können uns offensichtlich keine ambivalenten Gefühle leisten, was die Fremdbetreuung unserer Kinder anbelangt.
Der Weg nach einem Jahr Selbstbetreuung scheint vorgezeichnet
Entscheidet sich eine Frau heute, zu Hause zu bleiben und sich um die Kinder zu kümmern, muss sie sich nicht selten anhören, antiquiert zu sein. Eine alte (Hausfrauen-) Rolle zu leben, die nicht mehr zeitgemäß ist. Sie solle doch lieber arbeiten gehen, damit sie mehr ausgelastet wäre. Damit ihre Ressourcen nicht brach liegen, wie es von politischer Seite auch gerne heißt.
Bei Männern, die zu Hause bleiben – momentan nur ca. 4% – ist das im Übrigen anders: Da wird meist wohlwollend über die „neuen Väter“ gesprochen, die zu Hause wertvolle Familienarbeit übernehmen.
Aber auch Frauen, die bald wieder arbeiten gehen, haben keine allzu dankenswerte Rolle. Sie müssen versuchen, den Spagat zwischen Familie und Beruf hinzubekommen. Sie reiben sich nicht selten auf zwischen ihren Vollzeit oder noch öfter schlecht bezahlten Teilzeitjobs, und dem, was ihre Kinder möchten und brauchen.
Viele fühlen sich gestresst. Vom täglichen Vereinbarkeits-Wahnsinn. Den durchgetakteten Tagen, abgestimmt auf Arbeitszeiten und Kita-Bring- und Abholzeiten. Dem Mangel an Familienzeit und dem Druck, die wenige Zeit dann aber auch perfekt und für die Kinder möglichst befriedigend zu nutzen. Nimmt man dann noch die momentane Situation in den KiTas hinzu, die personell und qualitativ unzureichend ist, ist das schlechte Gewissen vorprogrammiert. Denn man möchte ja eigentlich, wenn man seine Kinder schon in fremde Hände gibt, eine qualitativ hohe und personell gut ausgestattete Betreuungsmöglichkeit.
Und zu Guter Letzt hat man vielleicht auch noch von Untersuchungen aus der Bindungsforschung und Entwicklungspsychologie gehört, die festgestellt haben, dass die allzu frühe und umfangreiche Fremdbetreuung sich negativ auf die seelische Gesundheit unserer Kleinsten auswirkt.
Aber der Weg zurück in die Arbeitswelt wird oft schon in der Schwangerschaft vorbereitet. Der Arbeitgeber wird informiert, dass man nach spätestens einem Jahr plant, wiederzukommen. Eine geeignete KiTa wird gesucht.
Unsere Kinder werden um die Zwänge des Arbeitsmarktes oder um unsere eigenen Jobwünsche herum organisiert.
Der Weg in die Fremdbetreuung nach einem Jahr Selbstbetreuung wird nicht mehr hinterfragt. Auch wenn die Kinder dann auf der Welt sind. Zwiespältige Gefühle werden ausgeklammert, Gedanken zur Mutter-Kind-Bindung weggewischt. Denn diese stehen auf einmal – nach einem Jahr meist intensivster Mutter-Kind-Bindung – im Generalverdacht, altmodische Rollenverteilungen zu erzeugen. Solche, die uns vom Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt und der damit verbundenen Emanzipation abhalten könnten.
Alles eine Frage des eigenen Lebensmodells?
Mich beschleicht das Gefühl, dass in unserer schnelllebigen Welt, die auf einen raschen Wiedereintritt in die Arbeitswelt setzt, viele keine Zeit mehr haben, mal innezuhalten. Abseits von finanziellem Druck, Jobwünschen und funktionalen Überlegungen, wie die KiTa-Zeiten zu organisieren sind, zwischendurch mal Luft zu holen und sich zu fragen: Ist das eigentlich alles gut für mich? Möchte ich das wirklich? Und vor allem: Ist das gut für UNS? Für uns als Familie? Ist das gut für mein Kind? Werden die Bedürfnisse, die wir als Familie haben, dabei genug berücksichtigt? Werden die Bedürfnisse, die mein Kind hat, ausreichend berücksichtigt?
Man erlaubt es sich nicht, innezuhalten und vielleicht auch mal zwiespältige Gefühle zuzulassen. Ich muss oft an „meine Karrierefrauen“ aus der Podiumsdiskussion vor ein paar Jahren denken. Heute denke ich: Wie mutig waren sie doch, so ehrlich zu sein!
Momentan wird viel Zeit investiert, um sich auf gesellschaftlicher Ebene zu streiten, was die Frage nach der Fremd- oder Selbstbetreuung unserer Kinder anbelangt. Da wird dann von den Nur-Müttern gegen Karrierefrauen Front gemacht und umgekehrt. Es wird darauf verwiesen, dass jedes Lebensmodell seine Berechtigung verdient und keines schlecht gemacht werden dürfe.
Dem ist erstmal zuzustimmen. Die Sache hat nur einen Haken, und ich möchte da mal Jesper Juul, den großen dänischen Familientherapeuten, zitieren. Auf die Frage, ob es für das Thema Kinderbetreuung ein „richtig oder falsch“ gäbe, sagt er:
„Die Frage, wie jemand leben will, kann jeder nur für sich beantworten. Das ist eine existenzielle Entscheidung, die kein anderer treffen kann. Eltern sollten nur bedenken, dass sie immer auch für ihre Kinder wählen.“
Von den Kindern lernen
Meine momentane Rolle als Nur-Mutter ist nicht immer einfach. Gesellschaftliche Anerkennung gibt es keine, weder eine finanzielle, noch eine immaterielle.
Aber es gibt diese schönen, unglaublich wertvollen Momente mit meinen Kindern, in denen ich wieder weiß, dass es sich lohnt.
Nicht nur, dass ich meine Kinder bei allen ihren Entwicklungsschritten hautnah begleiten kann und ausreichend Zeit habe, ihnen die mir wichtigen Werte mit auf den Weg zu geben. Ich kann auch von ihnen lernen.
Kindererziehung ist in erster Linie Selbsterziehung. Ich kann mal innehalten in unserer schnelllebigen Welt und eine andere Welt sehen. Die Welt aus den Augen eines Kindes.
Wo Kleinigkeiten zählen und eine Wahnsinnsfreude bereiten können.
Wo Selbstverständlichkeiten auf einmal magisch werden.
Wo der Phantasie freien Lauf gelassen wird im Spiel der Kinder.
Wo die Zeit stehenbleibt und keine Bedeutung mehr hat.
Ja, es kann manchmal nerven, wenn an jeder Ecke eine Blume gepflückt werden soll, ein Mäuerchen erklommen, ein Steinchen aufgehoben werden will.
Es kann aber auch extrem wohltuend sein, sich, dadurch erzwungen, mal nicht dem Diktat unserer schnelllebigen Zeit unterzuordnen. Und dann das Lachen meiner Kinder zu hören, das so unglaublich ansteckend sein kann wie kein Erwachsenenlachen.
Zu lachen hat man sowieso viel mit zwei kleinen Kindern. Jeden Tag passieren so viele kleine Dinge, die einen zum Schmunzeln, zum Lachen bringen.
Die Anerkennung bekomme ich nicht durch die Gesellschaft, aber durch meine Kinder.
Die Dankbarkeit und Zuneigung, die sie mir entgegenbringen, wenn ich ihnen einfach Zeit schenke.
Letztens war ich mit meiner „Großen“ in der Bibliothek. Wir saßen in der Leseecke und ich habe ihr vorgelesen. Auf einmal saß eine Schar Kinder um uns rum und haben zugehört. Die Augen meiner Großen, wie sie auf einmal ihre kleine Hand auf meine gelegt hat, der Stolz in ihren Augen, dass ich, ihre Mama, sich die Zeit nimmt, allen Kindern eine Geschichte vorzulesen. Solche Momente wiegen alles auf.
Und ich merke, wie wenig es eigentlich braucht – Zuwendung und Zeit! – um die Kleinen glücklich zu machen.
Lassen wir nicht zu, dass sie im täglichen Vereinbarkeitswahnsinn zum Luxusgut werden!
Ganz klase geschrieben!
Innehalten, sich Zeit nehmen,den Augenblick genießen…die Zeit vergeht so schnell und dann sind sie aus dem Haus. Jetzt ist der Zeitpunkt, bei unseren Kindern zu sein.
Top! 🙂 Wird gleich mal ordentlich geteilt…
Wunderschön!!! So ehrlich ubd realitätsnah… total unaufgesetzt! Danke Andrea
Vielen Dank! Sehr gerne 🙂 Es war mir schon länger ein Herzensbedürfnis, mal was zu dem Thema zu schreiben.